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Geleitwort zu "Psychosomatische Medizin heute"*

Eine Einführung in die seelischen Ursachen des körperlichen Krankseins

Von Friedrich Liebling**, 1964

Buch Rattner 2 Psychsomatische
Die Medizin ist in ein entscheidendes Stadium ihrer Entwicklung eingetreten. Unter dem Einfluss der tiefenpsychologischen Forschung beginnen wir zu erkennen, dass Kranksein nicht nur ein körperlicher, sondern auch ein seelischer Prozess ist. Damit wird die einseitige naturwissenschaftliche Orientierung verlassen, die zwar durch grosse Erfolge gekrönt wurde, aber im Grunde ein recht enges Konzept der Krankheit besass: Ihr Interesse galt hauptsächlich dem kranken Organ, nicht aber dem kranken Menschen.

Erst die tiefenpsychologischen Befunde haben uns die Augen geöffnet für die weitreichenden seelischen Ursachen des körperlichen Krankseins. Es ist eine bekannte Tatsache, dass sehr viele Patienten, welche die Ärzte konsultieren, nicht organisch krank sind, sondern an psychisch bedingten Beschwerden leiden.

Auch hat die psychosomatische Forschung eindrücklich bewiesen, dass das körperliche Krankheitsgeschehen im seelischen Bereich vorbereitet wird; seelische Fehlhaltungen verändern die Organfunktion und schaffen damit die Krankheitsbereitschaft, auf deren Boden dann die krankmachenden Erreger gedeihen können.

Vor allem in chronischen Krankheiten sind fast immer psychische Faktoren mit im Spiel, so dass die Heilung wesentlich davon abhängt, ob diese auch in der Therapie berücksichtigt werden.

Die bis anhin nicht beachtete Frage nach der psychischen Ursache der Krankheit rückt damit in den Vordergrund: Nun erscheint uns Kranksein nicht mehr als ein Zufall, sondern als ein mit der inneren Lebensgeschichte des Patienten zusammenhängendes Ereignis.

Viele der organischen Erkrankungen erweisen sich als Existenzkrise, die nur mit psychologischen Mitteln erfasst und behoben werden kann. Der von Arthur Jores*** geprägte Begriff der "menschlichen Krankheiten" wirft ein helles Licht auf diese Zusammenhänge und lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die Beziehungen zwischen Kranksein und menschlicher Lebensproblematik.

Während man in den USA schon seit langem die Erkenntnisse der psychosomatischen Wissenschaft lehrt und sich deren Ergebnisse zunutze macht, wurden in Europa - wo zwar die verschiedenen medizinischen Fachgebiete ausgezeichnet zusammenarbeiten - die umwälzenden Einsichten der Tiefenpsychologie bisher nicht berücksichtigt. Die Folge davon ist ein bedauerlicher Rückstand in Forschung und Praxis.

Erfreulicherweise regen sich jedoch nun auch bereits auf dem europäischen Kontinent Kräfte, die den neuen Einsichten zum Durchbruch zu verhelfen bestrebt sind.

Der Verfasser, jahrelang in psychotherapeutischer Praxis tätig, will mit dieser Schrift einen Beitrag zur Erhellung der Psychosomatik leisten. Er bedient sich darin einer sprachlich einfachen Darstellung, damit sich auch der medizinisch und tiefenpsychologisch weniger versierte Leser in diesen Gedankengängen zurechtfinden kann.

Dem Bemühen des Verfassers ist in Anbetracht der Wichtigkeit und Dringlichkeit seines Anliegens voller Erfolg zu wünschen.
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Bild Josef Rattner
*Josef Rattner, Autor von 'Psychosomatische Medizin heute'.

Seelische Ursachen körperlicher Erkrankungen. Zürich 1964, S. 7-8.
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Friedrich Liebling
**Friedrich Liebling (1893 - 1982) war Gründer und Leiter der Psychologischen Lehr- und Beratungsstelle Zürich, auch “Zürcher Schule für Psychotherapie” genannt.

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Bild Arthur Jores
***Arthur Theodor Jores, 1901 - 1982, war ein deutscher Mediziner und Mitbegründer der wissenschaftlichen Psychosomatik.

Nachruf zum Tode Arthur Jores im Spiegel 1982

Arthur Jores, 81. Zweimal im Leben hat der Arzt seinen Kollegen die Richtung gewiesen: In den dreißiger Jahren half er tatkräftig mit, die Lehre von den inneren Drüsen und ihren Säften ("Endokrinologie") zu begründen. Dieser Spezialrichtung der Medizin verdanken seither Tausende hormongestörter Patienten Leben und Gesundheit. 1946 wurde Jores Direktor der II. Medizinischen Universitäts- und Poli-Klinik Hamburg. Die Erfahrungen der Kriegs- und Nachkriegszeit lenkten sein Interesse auf die bis dahin tabuisierten Wechselwirkungen zwischen seelischem Leid und körperlicher Krankheit. Der "Psychosomatiker" Jores erkannte als erster Medizin-Ordinarius den "Bankrott" der technisierten Apparate-Medizin. Das freilich wollten nur wenige Ärzte hören. Jores starb vorletzten Samstag in Hamburg.
Quelle: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14353426.html DER SPIEGEL 38/1982

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