«Psychologische Menschenkenntnis», das Publikationsorgan der 'Zürcher Schule'
Friedrich Liebling lehrte in Zürich von 1952 bis Februar 1982. Seine Seminare besuchten schließlich mehrere tausend Menschen aus dem In- und Ausland; die Adressenkartei soll bis zu 3'000 Personen umfasst haben. Um die Lehre großflächiger zu verbreiten erschien ab 1964 die Zeitschrift „Psychologische Menschenkenntnis“. Ihr war regelmäßig folgender Text vorangestellt, der in aller Kürze wesentliche Grundlagen der Arbeitsweise der Zürcher Schule allgemeinverständlich zusammenfasste. Friedrich Liebling starb im Februar 1982. Die Zeitschrift wurde von einigen seiner Schüler bis zum Ende der 1980-er Jahre weiter herausgegeben. Ab Januar 1986 wurde der genannte einleitende Text in den Heften nicht mehr abgedruckt.
Friedrich Liebling ist ein Experiment auf dem Gebiete der Psychologie gelungen, das erstmals auf naturwissenschaftlichem Boden steht. In seiner induktiv-deduktiven Arbeitsweise ging er weit über die Anfänge (Freud, Adler, Jung u.a.) hinaus. Zur Frage über den grossen Erfolg der ‘Zürcher Schule’ sagte einer seiner engen Mitarbeiter einmal (Auszug aus einem Votum an einem Seminar):
«Der Mensch, der zu uns kommt, der Mensch, der Schwierigkeiten hat in seinem Leben, mit seiner Frau, mit seinem Mann, seinem Kind, seinem Nachbarn, seinem Chef oder seinem Untergebenen, der Mensch, der beim Lernen Probleme hat, oder sonst in seinem Leben nicht zurecht kommt, der ist bei uns kein Fall, kein Patient und kein Klient. Er ist auch nicht krank. Nein, er ist in seiner Kindheit falsch informiert worden.
Und was wir machen? Wir informieren ihn richtig. Das heisst, wir erklären ihm die Grundlagen der modernen Psychologie. Er erforscht seine Lebensgeschichte, erkennt, wie er geworden ist, welche Meinungen er über das Leben, den Mitmenschen und sich hat. Indem wir ihm die Natur des Menschen erklären, beginnt er selbst zu experimentieren.»
Um unsere Leser mit dem wissenschaftlichen Niveau der Arbeit der Zürcher Schule vertraut zu machen veröffentlichen wir hier die ursprüngliche Einleitung der psychologisch herausragenden Publikation und stellen in Zukunft weitere Texte daraus an dieser Stelle zur Verfügung!
Das nachstehende Vorwort, das jedem Heft vorangestellt war, ist heute aktueller denn je:
"Im unaufhaltsamen Siegeszug der Naturwissenschaften hat sich der Mensch immer wirksamere Werkzeuge geschaffen, mit denen er sich sein Leben zu erleichtern und besser zu gestalten vermag. Aber der heute noch überall vorwiegende Mangel an sachlich fundierter Menschenkenntnis stellt den gewaltigen Fortschritt immer wieder in Frage. Neben bewundernswerter technischer Perfektion finden wir das Zusammenleben der Menschen nach wie vor beherrscht vom Dunkel mystifizierender Spekulation und von sozialem Schwachsinn. Trotz aller oberflächlichen Publizität, welche heute auch der Psychologie zukommt, hat die moderne psychologische Aufklärung die allermeisten Menschen noch nicht erreicht.
Unsere pädagogischen Institutionen und Lehranstalten bieten in dieser Hinsicht ein armseliges Bild. Die Studenten, denen man später als Lehrer aller Stufen die Bildung der heranwachsenden Menschen anvertraut, erhalten heute noch in keiner Weise das notwendige Rüstzeug an wissenschaftlich begründeter Menschenkenntnis.
Um die Ausbildung der jungen Psychologen ist es kaum besser bestellt - und die Eltern, die eigentliche Ursache des psychischen Elends beim Kind, sind wie eh und je unvorbereitet und selber von Kindheit auf falsch informiert für ihre Erziehungsaufgabe. So pflanzen sich die Ängste, Schwächegefühle und Wahnvorstellungen des Menschen fort von Generation zu Generation, auf allen Gebieten des Lebens, bei Kindern und Erwachsenen, in der Liebe, in der Schule und im Beruf, in der Beziehung zwischen Eltern und Kind, im gesamten gesellschaftlichen Bereich.
Diese unermessliche seelische Not war Anlass zu einem Wagnis, aus dem sich die Zürcher Schule für Psychotherapie (gegründet und geleitet von Friedrich Liebling) entwickelt hat. In Einzel- und Gruppenpsychotherapie wird jedem Teilnehmer Anregung und Gelegenheit geboten zu einer umfassenden Persönlichkeitsschulung. Theorie und Praxis der psychotherapeutischen Arbeit beruhen auf naturwissenschaftlicher Grundlage.
Obwohl das seelische Problem des Menschen nicht von physikalisch-biochemischen Gesichtspunkten her erklärbar ist, sondern als Resultat zwischenmenschlicher Kommunikation und Information gesehen werden muss, stützt sich die Arbeit der Zürcher Schule - in Abkehr von den oft noch in der zeitgenössischen Psychologie verhängnisvoll wirkenden traditionellen Vorurteilen und Spekulationen über die menschliche Natur - allein auf empirisch verifizierbare Sachverhalte und Erkenntnisse.
Das Anliegen der Zürcher Schule für Psychotherapie ist es, über die wissenschaftliche Forschung und die therapeutische Arbeit hinaus zu einer wirksamen Prophylaxe gegen die seelische Not im Sinne einer umfassenden Volksaufklärung und psychohygienischen Schulung der Menschen beizutragen. Im Mittelpunkt dieser Bemühungen stehen deshalb die Information und die Erziehung der Erzieher.
Als ein solcher Beitrag ist auch die Zeitschrift "Psychologische Menschenkenntnis" konzipiert.
Die in allgemeinverständlicher Sprache verfassten Artikel und wörtlich wiedergegebenen Gruppengespräche können Psychologen und Sozialwissenschaftlern wertvolle Anregungen für die Psychotherapie und die Gruppentherapie geben und auch dem interessierten Laien Einsichten in das menschliche Seelenleben vermitteln".
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Friedrich Liebling (1893 - 1982) war Gründer und Leiter der Psychologischen Lehr- und Beratungsstelle Zürich, auch “Zürcher Schule für Psychotherapie” genannt.
Die Monatszeitschrift “Psychologische Menschenkenntnis” wurde seit 1964 herausgegeben. Daraus werden wir Beiträge in loser Folge an dieser Stelle veröffentlichen.
Erziehung, Psychologie, Vererbung, Meinungen, Psychologie, Wissenschaft, Medizin, Bildungswesen, Hirnforschung, Psychiatrie